Gedanken zum 3. Adventssonntag, Lesejahr A (Mt 11,2-1)

Liebe Schwestern und Brüder,

Wir sind ein Volk der Erwartungen. Unsere Tage sind voll von Erwartungen. Sie geben unserer Welt und unserem Leben eine gewisse Vorhersehbarkeit und Ordnung. Hoffnungsvolle Erwartungen zeigen in gewisser Weise unsere Weltansicht und das, was wir uns wünschen. Aber es gibt auch Erwartungen des Schreckens, das sind Dinge im Leben, die wir fürchten und die wir vermeiden wollen.

Wir lassen zu, dass diese Erwartungen unsere Einstellungen, unsere Überzeugungen und die Art und Weise, wie wir mit anderen umgehen, prägen. Diese Erwartungen prägen sogar unser Gottesbild, wer Gott ist, wo er sich zeigen kann und wie er handeln sollte. Wenn Gott unsere Erwartungen nicht erfüllt, sind wir oft zu schnell dabei, Gott in Frage zu stellen und nicht uns selbst. Wir vertrauen mehr auf unsere Erwartungen an das, was unseres Erachtens Gott tun sollte, als auf das, was er tatsächlich tut.

Johannes der Täufer ist ein Mann der Erwartungen. Das Evangelium der letzten Woche zeigt Johannes als eine Stimme, die in der Wüste von Judäa ruft: „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe gekommen.“ Er erwartet ein neues Reich und einen neuen Herrscher. Er erwartet einen, der noch mächtiger ist. Die Erwartungen des Johannes gaben ihm das Vertrauen und den Mut, in die Wüste zu gehen und Gott an den wilden und unbelebten Orten des Lebens zu suchen.

Heute bietet das Evangelium ein ganz anderes Bild von Johannes. Heute ist er ein Gefangener mit der Frage: „Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ Johannes kennt Jesus. Er ist mit ihm verwandt. Er hat Jesus im Jordan getauft und auf ihn als das Lamm Gottes hingewiesen, das die Sünde der ganzen Welt wegnimmt. Und nun eine solche Frage. Was ist passiert, dass Johannes Jesus auf einmal so in Frage stellt? Er muss in eine tiefe Glaubenskrise gefallen sein. Er weiß tatsächlich nicht mehr, ob dieser Jesus, wirklich der ist, der da kommen soll, um Israel zu retten.

Johannes kritisierte König Herodes. Daraufhin ließ Herodes ihn verhaften, fesseln und ins Gefängnis werfen. Das ist die historische Antwort, aber die Heilige Schrift lädt immer dazu ein, tiefer zu sehen und zu hören, um die geistiche Bedeutung zu erkennen.

Herodes mag Johannes ins Gefängnis geworfen haben, aber Johannes’ eigene Erwartungen haben ihn ins Gefängnis geworfen. Es ist das innere Gefängnis der Enttäuschung und Unzufriedenheit. Denn was Johannes da in seinem Gefängnis über Jesus  hört, das ist so ganz anders als er es sich vorgestellt hat. Er hat von all dem gehört, was der Christus tut, aber wo ist die Axt, das Feuer, die Schaufel? Wo ist der Zorn inmitten der Reinigung der Aussätzigen, der Erleuchtung der Blinden, der Auferweckung der Toten? Und wo Johannes den Menschen „die Hölle heiß gemacht“ hat, wo er mit nie verlöschendem Feuer gedroht hat, in dem alles verbrannt wird, was keine gute Frucht zeigt – da tröstet Jesus und kündigt das Reich Gottes an. Keine Drohbotschaft mehr, sondern eine Frohbotschaft – Evangelium.

Johannes ist durch seine eigenen Erwartungen, wer der Messias ist und wie der Messias handeln sollte, gefangen gehalten worden. Seine Vision des Reiches Gottes ist zu klein, seine Erwartung an den Messias zu eng. Das ist die Gefahr, wenn wir unsere Erwartungen zu eng fassen. Wir halten uns selbst gefangen mit einer Sicht auf Gott, das Reich Gottes, die Welt, unser eigenes Leben, die zu klein, zu eng ist. Wir versuchen, Gottes Werk und Leben auf unsere Erwartungen zu beschränken. Aber so ist Gott nicht, und so handelt er auch nicht. 

Und so muss Johannes seine Frage stellen: Ja oder nein, bist du der, der kommen wird? Oder sollen wir auf einen anderen warten? Die Antwort Jesu ist sicher auch anders als Johannes es erwartet hat: Beantworte einfach die Frage, Jesus. Das tut er weder für uns noch für Johannes. Ein einfaches Ja oder Nein wird uns nicht aus unseren Gefängnissen befreien. Wir werden nur entkommen, wenn wir unsere Erwartungen loslassen. Wir werden befreit, wenn wir unseren Verstand und unser Herz für ein größeres Reich öffnen. Wir werden entkommen, wenn wir Gott mehr vertrauen als unseren Vorstellungen von Gott.

Die Adventszeit ist die Zeit der Flucht aus dem Gefängnis. Es ist die Zeit des Ausbruchs aus unseren Erwartungen an Gott. Die Tür unserer Zelle ist verschlossen, aber nur von innen. Öffnen wir sie und entfliehen wir der Enge unserer Erwartungen. Eine neue Welt wartet auf uns. Was werden wir sehen und hören? Blinde werden sehend, Lahme können gehen, Aussätzige werden gereinigt, Taube hören, Tote werden auferweckt, und den Armen wird eine gute Nachricht gebracht. Das wären wir. Die letzte Zeile der Botschaft, die Jesus an Johannes im Gefängnis schickte: „Glücklich der Mensch, der den Glauben an mich nicht verliert.“ Amen.