Gedanken zum 31. Sonntag B (Mk 12, 28-34)

Liebe Schwestern und Brüder

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst” (Mk 12, 28-34).

Dies sind, so sagt Jesus, die beiden Gebote, von denen alles andere abhängt. Hier vermittelt Jesus eine dreidimensionale Spiritualität. Sie ist der Kern des Christentums und eine Lebenseinstellung, die eine heilsame Beziehung zu sich selbst, zu anderen und zu Gott beinhaltet. Das ist, denke ich, auch das zentrale Thema des heutigen Evangeliums. Es gibt zwei erste Gebote, und das zweite ist mit zwei Dimensionen verknüpft: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben… Du sollst deinen Nächsten lieben… wie dich selbst.“

Welches Gebot ist das erste von allen?

Trotz seiner Aufrichtigkeit offenbart die Frage des Schriftgelehrten sein Missverständnis darüber, was Gott gefällt. Er ist ein Schriftgelehrter oder ein Lehrer des Gesetzes. Die Schriftgelehrten hatten 613 spezifische Gebote in der Thora identifiziert, von denen 365 negativ (Tu das nicht!)und 248 positiv (Tu das) waren. Der Schriftgelehrte wollte die Gesetze Gottes in eine Rangfolge bringen, um sein Leben an ihnen zu messen und genau zu sehen, wo er bei Gott steht. Er wollte wissen, ob er es gut mit Gott meinte.

Jesus greift jedoch zwei Sätze auf und fasst die Tora positiv zusammen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ (Dtn 6,5) und „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev 19,18). In allen synoptischen Evangelien hat diese Zusammenfassung drei Dimensionen, die als erstes Gebot zusammengefasst werden: Liebe dich selbst, liebe deinen Nächsten und liebe den Herrn, deinen Gott.

Liebe den Herrn, deinen Gott….

Jesus wiederholt die Worte der Heiligen Schrift: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben …. all deiner Kraft.“ Dieser Satz erscheint mir sehr abstrakt, bis man ihn tatsächlich erlebt. Ich nehme an, die Liebe Gottes ist spürbar, wenn wir beten und uns seiner Gegenwart bewusst sind. Ein Gebet jedoch, in dem ich Gott einfach zur Verfügung stehe, ihm mein Herz öffne, ihm einfach zuhöre, wird ein Ausdruck der Liebe Gottes. Und wenn diese Haltung zu einer Gewohnheit in meinem täglichen Leben wird, die nicht unbedingt an bestimmte Gebetsmomente gebunden ist, dann beginne ich, „den Herrn mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit ganzer Kraft zu lieben.“ Ich bin sicher, dass es solche Momente in unserem Leben gibt, in denen Gott für uns real wird.

Wie du dich selbst liebst…

Wir dürfen uns in der Tat selbst lieben, weil wir nach dem Abbild Gottes geschaffen sind (Gen 1, 27), indem ich mit meinem Inneren in Berührung komme; ich komme mit Gott in Berührung. Dabei denke ich viel über mich, mein Leben, meine Beziehungen, meinen Weg und meinen Ursprung nach. Die Selbsterkenntnis, die aus echtem Gebet hervorgeht, ist auch von Demut und Selbstbeherrschung begleitet. Ich fühle, dass ich es bin.

So wie wir uns selbst lieben, so sollen wir die anderen lieben. Und damit verkündet Jesus einen Gott, der nicht will, dass wir irgendetwas an uns selbst verachten  oder klein machen, sondern  er will, dass wir uns selbst annehmen – und gut zu uns selbst sind, — weil er weiß, dass man zu anderen nur dann wirklich gut und liebevoll sein kann, wenn man mit sich selbst im Reinen ist, wenn man sich selbst so akzeptiert, in dem man sich selbst auch Gutes tut. 

Liebe deinen Nächsten….

Der Prozess der konzentrierten Hinwendung zu Gott und der Kontakt zu sich selbst wird auch von einem echten Mitgefühl für andere begleitet.  Und Vergebung wird leichter. „Liebe deinen Nächsten“, sagt Jesus. Ja, das ist ein Wert, den ich in meinem Leben vertrete. Es ist etwas, das ich lehre und predige. Und doch kenne ich nicht einmal die Namen der Menschen, die auf der anderen Straßenseite oder zwei Häuser von mir entfernt wohnen. Woher soll ich wissen, was sie für Schmerzen, Hoffnungen oder Bedürfnisse haben?

Mit diesem Dreifach-Liebesgebot, da fasst Jesus alles zusammen, was ihm wichtig ist; damit fasst er seine gesamte Botschaft zusammen. Und seine Botschaft sagt uns: Da ist ein Gott, der nicht alle Liebe für sich alleine haben will, sondern der will, dass wir diese Liebe teilen – mit den Mitmenschen. Ein Gott, der nicht alleine in den Blick unseres Handelns genommen werden will, sondern der will, dass wir unsere Aufmerksamkeit auch unseren Mitmenschen und uns selbst schenken.

Liebe Schwestern und Brüderes würde mich nicht überraschen, wenn Sie fragen würden: „Wo ist die Hoffnung in dieser Predigt?“ Und Sie haben Recht, diese Frage zu stellen. Ich habe mir genau diese Frage gestellt. Und hier ist meine Antwort: Du bist, ich bin. Du und ich, wir sind die Hoffnung, die sich durch diese Predigt zieht. Du und ich sind die einzige Hoffnung der Liebe in dieser Welt. Amen.